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Darmstädter Echo, 22/11/08

Wider das Vergessen rechtsextremer Gräueltaten
Philippshospital: "Leben auf den Kopf stellen" heißt eine Ausstellung von Patricia Roth im Kulturzentrum Kellerberg

RIEDSTADT. "Pack deine sieben Sachen" steht auf dem handgeschriebenen Zettel an der Wand. Im Raum dahinter sieht man - jeweils sieben - mit verschiedenen Materialien gefüllte Holzkisten, Bilder und leere Glasschüsseln. "Leben auf den Kopf stellen" lautet der Titel der Ausstellung von Patricia Roth, die am Mittwoch im Kulturzentrum Kellerberg im Zentrum für soziale Psychiatrie Philippshospital (ZSP) eröffnet wurde.

"Das Leben kann durch äußere Umstände, aber auch von einem selbst auf den Kopf gestellt werden", bemerkt die Künstlerin, deren aktuelle Ausstellung sich mit beiden Varianten beschäftigt. Die "sieben Sachen" stehen beispielsweise stellvertretend für jene Menschen, die sich - aus politischen, religiösen oder wirtschaftlichen Gründen - auf der Flucht befinden. "Das Leben dieser Menschen wird durch äußere Umstände Einflüsse auf den Kopf gestellt", so Roth. Die Probleme, die daraus erwachsen, möchte sie mit ihren Kunstwerken verdeutlichen. Die verschiedenen Materialien in den Holzkisten - Lehm, Erde, Sand - stehen als Symbol für die häufig schmerzlich vermisste Heimat. Die Asche verkörpert den Tod von geliebten Familienmitgliedern, von denen man getrennt ist. Die leeren Glasschüsseln stehen für all die Tränen, die man in der Fremde vergießt.

Das persönliche Auf-den-Kopf-stellen wird in vielen anderen Räumen des verwinkelten Kellerbergs deutlich, der im Jahr 1862 ursprünglich als Brau- und Lagerraum des Philippshospitals errichtet wurde.
"Innehalten und dann Revolution", steht auf einem Zettel im Durchgang zu einem weiteren Raum. Darin befindet sich eine Konstruktion aus einem Pflasterstein am Boden, einem Draht, der daraus erwächst, und vielen bunten Federn, die daran befestigt sind. Der Stein stehe dabei für eine gute Basis, die jeder Mensch haben sollte, der Draht für ein starkes Rückgrat, das ebenfalls wichtig sei. Die Federn hingegen symbolisieren eine "Leichtigkeit des Seins", die das Leben erst lebenswert und ein Andersdenken möglich machen.

Die Ausstellung steht im Rahmen der Feierlichkeiten zum 475-jährigen Bestehen des Philippshospitals, wie der ärztliche Direktor Hartmut Berger in seiner Begrüßung zur Vernissage feststellte. "Die Installationen erzählen von Leidenschaften, Enttäuschungen und Hoffnungen, vom Werden und Vergehen und zeichnen das Leben nach", so Berger. Der Künstlerin sei es zudem gelungen, "ihre eigenen Themen und Werke in die Räume einzupassen und diese zum Bestandteil der Kunst werden zu lassen".

Dies wird schnell deutlich, wenn man durch die vielen Räume des Gewölbekellers geht und die verschiedenen Installationen der Künstlerin darin betrachtet. In einem schmalen, langen Gang mit einer Tür aus Lochblech am Ende schweben zahlreiche Luftballons in Blautönen - "bei Tageslicht nehmen sie ein Versprechen vom blauen Himmel vorweg". In einem runden Raum mit Kuppel - einer Kapelle gleich - wird an die Opfer rechtsextremer Gewalt seit der Wiedervereinigung erinnert. In der Mitte des Raumes befindet sich eine runde Skulptur, in deren äußerem Kreis sich Asche, im inneren blutrote Hagebutten befinden. Im Hintergrund ist ein Hörspiel zu hören: Es werden Namen aufgezählt und Geschichten erzählt - allesamt von Todesopfern rassistischer Gewalt. Über 100 Menschen sind ihr seit 1990 in Deutschland zum Opfer gefallen.

"Diese Ausstellung ist jenen Menschen gewindmet, die im Dritten Reich von hier nach Hadamar ausgeliefert und getötet wurden - und auch jenen, die noch in der heutigen Zeit von Rassisten umgebracht werden", erläuterte Patricia Roth. Es ist eine Ausstellung wider das Vergessen der Greuelaten und der Opfer rechtsextremer Gewalt und den Hass - und ein Plädoyer für den Genuss, die Liebe und das bewusste Erleben der Höhen und Tiefen, die einem in der Zeit zwischen Geburt und Tod beschert sind.