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Ohne Titel

Von Simone Schönett

„Bewusst unbewusst“, schon im Titel von Patricia Roths Ausstellung werden (scheinbar) unüberwindbare Gegensätze aufgehoben: Das Bewusste, also all unsere Vorstellungen, Gedanken und Wahrnehmungen, steht hier gleichberechtigt neben jenen Bereichen der menschlichen Psyche, die dem Bewusstsein nicht zugänglich sind: Das individuell Verdrängte, Abgewehrte, aber auch das kollektive Unbewusste.
„Bewusst unbewusst“ ist weniger ein Sprachspiel, als vielmehr ein Signal dafür, dass das Unbewusste dem Bewussten nur mit dem Handwerkszeug verschiedenster Methoden zugänglich gemacht werden kann: Mit Psychoanalyse, Hypnose. Oder eben – mit Kunst.
Formal betrachtet ist ja alle Kunst zu verorten zwischen Ordnung und Unordnung, Geformten und Ungeformten. Patricia Roths Arbeiten aber „leben“ quasi im Dazwischen, im Grenzbereich zwischen dem, was wir bewusst wahrnehmen und dem, was unbewusst mitschwingt. Ersichtlich wird das vor allem im Zusammenspiel von Werk und Titel. Diese Künstlerin verkündet keine „Weisheiten“, sie stellt Fragen, Fragen an eine immer unübersehbarer werdende Wirklichkeit, der eine immer größer werdende Bereitschaft zum Abwehren und Verdrängen innewohnt.
Doch Werk und Titel erheben nicht den Anspruch auf ein allgemeingültiges und absolutes Erklärungsprinzip; im Gegenteil, sie entziehen sich dieser „Macht“, denn die „großen Erzählungen“, wie es der französische Strukturalist Lyotard formulierte, haben nicht nur längst ausgedient – ihnen ist auch nicht zu trauen. Dass es eine Vielzahl von Erklärungsmodellen der Welt (Lyotard nennt sie „Sprachspiele“) gibt, hat Patricia Roth längst verinnerlicht - ist sie doch nicht nur Künstlerin, sondern auch Menschenrechtsaktivistin und Weltreisende. Aber nichtsdestotrotz – oder gerade deswegen? – behandeln ihre Objekte die großen Themen: Das Leben, die Liebe und den Tod.

Identität, Relation und Geschichte kennzeichnen nicht nur Menschen, sondern auch Orte.
Der Campanile der Wartburgkirche, ein Turm, kann auch als Sinnbild für das Leben gelesen werden. Für jeden Schritt auf der Treppe hinauf muss Kraft aufgewendet werden, aber man gewinnt dabei auch an Höhe und der Blick verändert sich, das Auge gewinnt an Freiheit, der Mensch erhält einen Zugewinn an Helligkeit; die Begrenztheit weicht nach und nach der Grenzenlosigkeit. Die verschiedenen Stockwerke symbolisieren auch die verschiedenen Lebensetappen. Und doch muss dann auch wieder mal hinab gestiegen werden …

Wenn nun Patricia Roth ihre Ausstellung im Erdgeschoß mit geometrischen Objekten und Bienenwachs beginnt, dann ist das auch ein sich Einlassen auf den Ort – beherbergt der Campanile doch im ersten Stock tatsächlich Honigbienen, echte „Stadtbienen“ sozusagen. Doch der Titel, „Bienentanz“, weist über den Ort hinaus. Der Tanz, mit dem Bienen einander Informationen über Richtung und Distanz einer Nahrungsquelle geben - eine besonders elegante Form der von Bienen entwickelten Sprache – ist hier von Bedeutung: Denn bei allen Aufgaben, die das Leben für einen bereithält, soll nicht auf den „Tanz“, also das Beschwingte, Losgelöste, Exstatische vergessen werden.

Erinnerte Natur ist ein wesentliches Merkmal von Patricia Roths Kunst.
“Eins und geteilt sein“ verweist darauf: die schweren Steine, als Quadrate, als Viertel und gedrittelt, symbolisieren aber nicht nur die zunehmende Naturzerstörung, sondern auch die innere Natur der Menschen: Den Wunsch nach Klarheit, innerer Ruhe, nach Sicherheit, die aus einem selbst kommt, und damit einhergehend die Zerrissenheit, das Verletzt sein, Gefühle von Verlust, Angst, sich nicht selber zu genügen.

Fragen stellen an eine immer unübersehbarere Wirklichkeit, das ist die Aufgabe der KünstlerInnen. Schon die funktionsästhetische Qualität der Arbeit im dritten Stock – Stahl und Bitumen – gibt einem technisch-utopischem Lebensgefühl Ausdruck. Doch die Form dieser drei mal drei Arbeiten repräsentiert noch eine weitere Dimension: die der gesellschaftlichen Stellung des Menschen: Klassen- oder gar Kastengesellschaft?
„Bewusst unbewusst“. Nicht zufällig ist diese Arbeit Ausstellungstitel gebend. In den klaren, universellen Formen verborgen liegen: das Individuum, das Paar, die Gruppe. Aber eben auch die Umstände – bei der Zeugung, bei der Geburt, des Erwachsenwerdens, im Verdienen des Lebensunterhalts, im Erkranken und im Sterben.
Patricia Roth formuliert es so: „Wie leben wir mit diesen Umständen? Welche Möglichkeiten und Fähigkeiten haben wir, diese Prozesse zu gestalten?“

„Zu sehen, wie der Maulwurf gräbt“ heißen die 13-teiligen Stahl-Stein-Quadrate im vierten Stock. Sie zeigen auf reduzierteste Weise das Leben in all seiner Fülle: hell, dunkel, glitzernd, eintönig … .
Abgesehen von der Zahlensymbolik findet sich schon im Titel eine subtile Botschaft. Denn der Maulwurf hat (und das weiß die Künstlerin mit Sicherheit) durch sein (oft unerwünschtes) Graben großen Anteil an der Bodenbildung; er trägt zur Durchmischung der Böden bei und begünstigt dessen Durchlüftung …

Quadrate mit glänzenden, polierten Versteinerungen und einzelne rabenschwarze Bitumenarbeiten haben ihren Platz im fünften Stock. Titel: „Licht ins Dunkel bringen“. Hier wird mit der christlichen Ikonographie gespielt, aber ebenso mit dem Raum, der Höhe, mit Licht und Schatten, Schwarz und Weiß, kurzum, der Dualität, der zwar nicht zu entkommen ist, derer man sich aber immer wieder gegenwärtig werden sollte.

Wirklich gegenwärtig und greifbar wird das davor schon angespielte Schwarz und Weiß dann im obersten Stockwerk. Quasi „Schwarz auf Weiß“, denn hier hat die Künstlerin die Namen von mindestens 137 Todesopfern rechter Gewalt in Deutschland platziert – handschriftlich. Die Täter und Urteile liegen vor – jedoch getippt und in „Ordnern“ …
Das leider nur all zu gerne Verdrängte wird hier bewusst gemacht. Und zwar am höchsten Punkt, dort, wo der Blick an Freiheit gewinnen kann – oben im Turm. Das Erinnern, Vergegenwärtigen oben, impliziert aber noch eine weitere Dimension: Die Symbolik der nicht friedlich, sondern zur Überwachung und Kontrolle genutzten Türme – jener, mit denen Menschenrecht und Freiheit endet(e). Auch diese liegen im kollektiven Unbewussten verborgen – in jener Lagerstätte der Erfahrungen der Menschheit.

Patricia Roth macht das Unbewusste mit ihrer Kunst zugänglich. Die Reduktion in der Form, in den Materialien. Ihre Reduziertheit ist es, die BetrachterInnen zum genauen Hinsehen bringt. Und die spielerischen Titel, die, wie ihre Objekte, erst beim reflektierten Schauen/Lesen dann den Weg in tiefere Schichten weisen.

Simone Schönett, geboren 1972 in Villach/Österreich, ist freie Schriftstellerin. Sie veröffentlichte zuletzt den Roman „re:mondo“ (2010, Edition Meerauge, Klagenfurt am Wörthersee). Mehr unter: www.wort-werk.at oder auf www.meerauge.at